Eine kühne Behauptung? Nein. Es ist tatsächlich so.
Introvertierte haben den Tiger im Tank.
Sie sind sich dessen nur nicht bewusst und fahren bildlich gesprochen oft mit angezogener Handbremse.
Weshalb das so ist, möchte ich euch gerne anhand eines Interviews erklären, das Sophie Krüger mit mir geführt hat.
Als ich vor einigen Monaten die Imageberaterin Sophie Krüger aus Berlin kennen lernte, wusste ich weder, dass sie introvertiert ist, noch dass sie eine sehr erfolgreiche Unternehmerin ist.
Vor kurzem sprach sie mich an, ob ich ihr ein Interview zum Thema Introversion gebe. Sie meinte die Hintergründe dieser Charaktereigenschaft sind sicherlich auch für ihre Kundinnen sehr interessant. Sie wollte gerne tiefere Einblicke bekommen.
Gesagt getan. Und ich konnte sogar noch einiges zum Thema Kleiderstil lernen.
Was bedeutet introvertiert?
Introvertiertheit wird auch als Introversion bezeichnet.
Das ist weder eine Krankheit noch etwas wofür man sich schämen muss.
Introvertiertheit bedeutet vielmehr, dass ein Mensch mit dieser Charaktereigenschaft neue Kraft in Ruhephasen tankt, während der Extrovertierte diese eher aus der Begegnung mit anderen Menschen zieht.
Es ist also ein Persönlichkeitsmerkmal das uns genauso beeinflusst wie unsere nationale Herkunft oder die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht.
Ein Wissenschaftler bezeichnet Introversion und Extroversion gerne als den „Norden und Süden des Temperaments“.
Je nachdem, ob wir weiter dem Norden oder dem Süden zugeordnet sind, wirkt sich das auf die Berufswahl und unsere Karriere aus und beeinflusst uns auch, welche Freunde und Partner wir wählen.
Nach neuesten Erkenntnissen sind rund 40 % der Bevölkerung weltweit introvertiert.
Sind alle schüchternen Menschen introvertiert?
Nein, das ist ein Irrglaube. Schüchternheit ist eine Blockade, eine Angst.
Das kann zum Beispiel die Angst vor Ablehnung oder Demütigung sein.
Introvertierte sind nicht unbedingt schüchtern.
Und, was noch ganz wichtig ist: Schüchternheit tut irgendwo im Körper immer weh. Introversion dagegen nicht.
Natürlich können diese beiden Eigenschaften zusammentreffen, doch auch ein extrovertierter Mensch kann schüchtern sein.
Warum ist man das? Ist das angeboren, oder kann ich mir das abgewöhnen?
Lach, das wäre sehr schade, wenn du dir das abgewöhnen könntest.
Introversion ist eine der am Gründlichsten erforschten Gebiete in der Persönlichkeitspsychologie, vor allem durch amerikanische Wissenschaftler.
Auch wenn das erstaunt und kaum zu glauben ist, aber rund die Hälfte der Amerikaner tendiert zur Introversion.
Professor Jerome Kagan ist einer der großen Entwicklungspsychologen aus Harvard.
Er hat über viele Jahre bahnbrechende Langzeitstudien vom Säugling bis hin zu Jugendlichen gemacht und die emotionale und kognitive Entwicklung dokumentiert, um den Ursprüngen des menschlichen Temperaments auf die Spur zu kommen.
Er wollte wissen, woher kommt Introversion und Extroversion.
Demnach ist die Persönlichkeit ein sehr komplexes Gebilde, das sich erst herausbildet, nachdem persönliche Erfahrungen als Kind und Jugendlicher und auch gesellschaftliche Einflüsse dazukommen.
Also was erlebe ich in meiner Kindheit, wie geht die Umwelt mit mir als Kind und Jugendlicher um.
Das beeinflusst die Persönlichkeit in welche Richtung ich nach und nach in meinem Leben tendiere. Also zur Introversion oder zur Extroversion.
Er sagt ganz klar: Temperament ist das Fundament und die Persönlichkeit das darauf gebaute Haus.
Ist es das Gleiche wie Hochsensibel?
Nein. Viele Introvertierten sind zwar gleichzeitig auch hochsensibel, wie die Psychologin Elaine Aron belegt hat, aber gut 30 Prozent der Hochsensiblen sind extrovertiert.
Das Nervensystem dieser Gruppe ist außerordentlich empfindlich für äußere Einflüsse, was noch schneller zu einer Reizüberflutung führt.
Hochsensible sind sehr gute Beobachter, haben aber Probleme, wenn sie beobachtet werden.
Meist sind sie philosophisch oder religiös orientiert und keinesfalls materialistisch.
Sie lieben Musik und Kunst und können sich an ihre oft sehr lebhaften Träume erinnern.
Ihr Leben ist durch starke Emotionen geprägt und sie sind meist hochgradig mitfühlend.
Sie haben aber auch egoistische Züge und manchmal benehmen sie sich unnahbar und unfreundlich.
Eric Malpass, ein englischer Schriftsteller, schrieb mal, dass Hochsensible mit einer dünneren Haut durchs Leben gehen, als die meisten Menschen. Gewaltfilme im Kino oder Fernsehen vermeiden sie weitgehend.
Das mache ich als Introvertierte übrigens auch, aber eher aus dem Grund, weil ich danach schlecht schlafe. 😉
Welche Herausforderungen gibt es für Introvertierte?
Die größten Herausforderungen liegen darin, sich selbst zu akzeptieren und sich anzunehmen.
Introvertierte sind perfekt wie sie sind und meist wissen sie gar nicht, welchen „Schatz“ sie in sich tragen.
Dieses Potential zu heben ist meine Aufgabe als Coach, damit Frauen künftig beruflich wie privat ihre Ziele leichter verwirklichen können.
Du hast nur dieses eine Leben. Wenn du es nicht genießen kannst, verschwendest du deine wertvollste Lebenszeit.
Es hat auch bei mir lange gedauert, bis ich das erkannt habe. Heute lebe ich endlich meinen Traum und genieße ihn in vollen Zügen.
Wie komm ich wieder in meine Mitte?
Das, was dich gefühlt außerhalb deiner Mitte sein lässt, ist die Tatsache, dass du als Introvertierte erst alles genau durchdenken musst.
Du bist gar nicht außerhalb deiner Mitte. Von Extrovertierten werden wir oft aufgefordert eine Entscheidung zu treffen, die wir in dem Moment einfach noch nicht treffen können.
Wir Intros haben noch nicht alle Details durchdacht und mögliche Eventualitäten berücksichtigt. Das macht uns von außen gesehen „schwerfällig“ und „unflexibel“.
Damit wir mehr in unsere Mitte kommen und unsere Intuition schulen, statt alles dem Verstand zu überlassen, gibt es eine schöne Mentalübung: Der Vertrauensvorschuss.
Nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung bekommst du das zurück, was du ausgesät hast.
Dein Gegenüber spiegelt also lediglich, wie du dich ihm gegenüber verhältst. Wenn du jemandem vertraust, bekommst du Vertrauen zurück.
Da du anziehst, wovon du bewusst oder unbewusst überzeugt bist, kannst du gezwungenermaßen nur Misstrauen bekommen, wenn du jemandem nicht vertraust.
Das wirkt dann wie eine selbsterfüllende Prophezeiung.
Probier‘s mal aus und schenke eine Woche lang jedem mit dem du Kontakt hast bewusst einen Vertrauensvorschuss und führe abends Buch darüber.
Apropos Buch, gerade für uns Intros ist es sehr wichtig, dass wir uns täglich fünf Minuten Zeit nehmen und uns folgende Fragen stellen.
- Was ist mir heute gut gelungen?
- Wofür bin ich dankbar?
- Was nehme ich aus dem heutigen Tag als „Lernnugget“, also als Lernchance mit?
Wir werden uns durch diese Übung viel schneller unseres Potentials bewusst und sabotieren uns nicht ständig, indem wir unzufrieden mit uns sind.
Hat es auch Vorteile, introvertiert zu sein? Haben wir spezielle Potentiale?
Ja, definitiv. Introvertierte haben meist wenige, dafür aber intensive Freundschaften und Beziehungen.
Sie sind sehr gute Zuhörer und spüren Schwingungen zwischen den Zeilen.
Problemstellungen im Beruf betrachten sie zunächst von allen Seiten, bevor sie mit einer passenden Lösung kommen.
Das ist auch der Grund, warum sie in Teambesprechungen manchmal ein Thema ansprechen das für extrovertierte Chefs schon längst abgehakt war.
Außerdem sind Intros Gemütsmenschen.
Mit ihnen so richtig aneinander zu geraten ist schwierig, da sie Harmonie und eine angenehme Arbeitsumgebung lieben und Konflikten gerne aus dem Weg gehen.
Wenn sie Gefallen an einer Tätigkeit oder einem Projekt gefunden haben, dann wachsen sie über sich selbst hinaus und stecken ihre volle Energie in das Thema.
Dabei bleiben sie beharrlich bei der Erreichung ihrer Ziele, auch wenn es manchmal etwas länger dauert, bis sie dort ankommen.
Sie machen es eben auf ihre leise Art.
Viele Introvertierten sind auch ausgeprägte Perfektionisten.
Jetzt fragst du dich vielleicht, wo das ein Vorteil sein soll.
Aber denke mal an die vielen großen Kongresse und Veranstaltungen.
Was wäre das für ein Chaos, wenn im Hintergrund nicht Perfektionisten die Strippen ziehen und alles klappt wie am Schnürchen.
Die Vorteile der Introversion habe ich schon mal in einem Artikel beschrieben. vor kurzem einen Blogartikel veröffentlicht.
Welche Jobs / Wirkungsbereiche eignen sich besonders gut für Introvertierte?
Jeder von uns ist nicht ausschließlich introvertiert.
Kennst du aus dem Matheunterricht noch die Gaußschen Verteilung?
Also die Kurve die von Null auf der einen Seite nach oben steigt und auf der anderen Seite wieder auf die Null zurückkehrt.
Ich habe mal versucht das bildlich darzustellen:
Stell dir Folgendes vor: Auf der einen Seite sind die Introvertierten und auf der gegenüberliegenden die Extrovertierten.
Die meisten Menschen befinden sind näher an der Mitte und reagieren je nach Situation und aktueller Stimmung mehr introvertiert oder auch mal extrovertiert.
Wenn du die Skala anschaust, siehst du, dass rund 34 % der Menschen jeweils zu Intro- oder Extroversion neigen.
Weitere je rund 14 % sind dann schon sehr ausgeprägte Intros oder Extros und die restlichen jeweils gut 2 % kommen aus ihrer jeweiligen extremen Ecke nicht mehr raus.
Wir haben alle einen Anteil an beiden Persönlichkeitseigenschaften.
Jeder weiß aber, in welcher Umgebung er sich wohl fühlt. Ob es eher das Vertriebsbüro ist oder ein Einzelbüro in dem er konzentriert alleine arbeiten kann.
Berufe für Introvertierte
Berufe wie Grafiker, Webdesigner oder Zahntechniker sind sehr kreative Berufe.
Auch Social Media Manager planen und organisieren eher im Hintergrund die Aktivitäten großer Kampagnen.
Kreative Berufe sind also sehr gut geeignet für introvertierte Menschen.
Auch im Labor oder der Buchhaltung, wo es auf Genauigkeit ankommt, finden introvertierte Menschen ihre Erfüllung.
Dein Beruf als Imageberaterin, liebe Sophie, hat auch sehr viel mit Kreativität zu tun.
Klar, du gehst mit deinen Kundinnen einkaufen. Aber im Vorfeld beräts du sie und zeigst ihnen was sie aus ihrem Typ alles machen können. Dabei arbeitest du meist mit jedem einzeln und sehr persönlich.
Es gibt auch viele introvertierte Persönlichkeiten, die sich selbst treu geblieben sind und trotzdem erfolgreich in ihrem Beruf sind: Claudia Schiffer, Angela Merkel, Michelle Pfeiffer, J.K. Rowling oder Avril Lavigne, die kanadische Sängerin.
Daher sollten wir Intros alle das tun, was zu uns und unseren Bedürfnissen passt.
„Wir können die Welt mit unseren persönlichen Stärken auf eine leise Weise verändern.“
Welche Berufe sollte man unbedingt meiden?
Was heißt meiden. Wenn dein Herz an einem Beruf hängt, der für dich Berufung ist, dann ist es gleich, was du tust. Du liebst es. Egal ob du introvertiert bist oder nicht.
Für Introvertierte auf den ersten Blick weniger geeignet sind wohl solche Berufe, bei denen man ständig im Rampenlicht steht.
Mir fällt da spontan der Vertrieb und der Außendienst ein. Aber auch Krankenschwester, Polizistin oder Apothekerin hätte ich mir persönlich nicht vorstellen können, auch wenn es interessante und sehr wichtige Berufe sind.
Wirkt sich Introvertiert sein auch auf die Kleiderwahl aus?
Über diese Frage hatte ich bisher nie nachgedacht. Ja, es hat tatsächlich eine Auswirkung.
Ich persönlich kleide mich schon nach meiner aktuellen Stimmungslage.
Wenn ich gut drauf bin, darf es auch mal etwas Auffälligeres sein, wie eine rote Bluse oder ein strahlend blauer Pulli.
Ansonsten bevorzuge ich dann doch eher gedeckte Farben, also ein dunkles Blau oder grau, aufgepeppt durch einen bunten Schal oder ein Tuch.
Interessant waren die Antworten, die ich von meinen Kundinnen bekommen habe.
Natürlich ist es auch jahreszeitabhängig, welche Kleidung bevorzugt wird, aber klarer Favorit war: Je nach Stimmungslage.
Was ich selbst schon an meinen Kundinnen bemerkt habe und mir auch immer wieder bestätigt wird, ist die Tatsache, dass überwiegend schwarz getragen wird.
Eigentlich schade, da diese Frauen mit entsprechenden Accessoires viel mehr aus ihrem Typ machen könnten.
Aber wie bei vielen introvertierten Frauen ist der Wunsch nicht aufzufallen sehr tief verankert.
Das Risiko, dass sie als graue Maus gelten, gehen sie dabei gerne ein.
Auffällig auch, dass sich einige Kundinnen in Jeans schnell eingezwängt fühlen.
Da werden im Frühling und Sommer lieber Röcke und Kleider getragen. In der restlichen Jahreszeit dann eher bequeme Joggpants.
Was habe ich vergessen, zu fragen?
Hmm, lass mich überlegen.
Vielleicht eines noch zur Introversion:
Zahlreiche Studien haben ergeben, dass Introversion oder Extroversion genau wie Gewissenhaftigkeit, Freundlichkeit und Pflichtbewusstsein zu 40 bis 50 Prozent erblich sind.
Wir alle kommen also mit einem vorbestimmten Temperament auf die Welt.
Die weitere Entwicklung wird dann durch die Kindheit und den Umgang der Menschen miteinander bestimmt.
Wenn wir in einer fürsorglichen und heilen Umgebung aufwachsen, können wir uns auch als Erwachsene zu energiegeladenen großen Persönlichkeiten entwickeln, ganz egal ob intro- oder extrovertiert.
Allen Introvertierten möchte ich gerne noch sagen:
Bleib so wie du bist! Denn es gibt Menschen die dich genau sooo lieben!
Sophie Krüger‘s Fazit am Ende unseres Gespräches
Ich muss sagen das ist ein bisschen gruselig. 😱
Woher weißt du so viel über mich? Wirklich interessant. Sicher auch für die Leserinnen, von denen sich einige bestimmt wiedererkennen.
Lach, liebe Sophie ich danke dir für unser interessantes Gespräch und die kleinen Einblicke in deine Welt der Mode.
Mein Fazit
Dass introvertierte Frauen ihre Stimmung durch die richtige Kleidung beeinflussen können, war mir bisher nicht wirklich bewusst.
Und die Idee, Outfits die ich sehr mag zu fotografieren und diese Bilder in den Kleiderschrank zu hängen finde ich richtig klasse.
Das habe ich erst durch den 2. Teil des Blogartikels von Sophie erfahren.
Hier gibt es für uns Intros noch viele weitere Tipps zum Thema Stil, Stoffe, Accessoires und Make up.
Jetzt ist nur noch eine Frage offen:
Warum haben Intros den Tiger im Tank?
Hast du den Blogbeitrag gelesen? Dann hast du die vielen Stärken von uns Introvertierten entdeckt.
Genau deshalb haben wir den Tiger im Tank.
Wir müssen ihn nur viel öfter raus lassen. 😊 🐅
Liebe Grüße
Brigitte
Fotos: Canva
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